„Oh, Brother, Can You Kill That Nazi? “

The Battle of the Maxes – Baer gegen Schmeling am 8. Juni 1933, und was TeBe damit zu tun hatte

Der unbekannte Fotoredakteur machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. „HAIL HITLER!“, ist als zynischer Kommentar wütend auf den Presseabzug des Fotos vom Kampf Baer gegen Schmeling am 8. Juni 1933 geschmiert. Auch vom Sänger Al Jolson wird kolportiert, er habe auf einem der besten Plätze des mit 60.000 zahlenden Zuschauern ausverkauften Yankee-Stadiums getobt, Come on, Jewboy! Kill that Nazi! Mit der Depressions-Ballade „Brother Can You Spare A Dime“ war Jolson selbst eine Ikone seiner Zeit.

Es ist ein Jahrhundertfoto. Stadium-Sprecher Joe Humphries erklärt auf ihm Max Baer soeben zum Sieger. Die Hand zum Sieg erhoben, das Handtuch noch über den Schultern, sieht der 24jährige Fleischergehilfe aus Livermore, Kalifornien, ein wenig benommen den Betrachter an, als glaube er noch nicht so recht an seinen Sieg. Hatte er nicht selbst vor dem Kampf geprahlt, mit Fäusten könne man ihm keinen Schmerz bereiten?

Der Verlierer, the real German, wie er von der Chicago Tribune genannt wurde, steht zu seiner Linken. Sein Manager hält den ehemaligen Weltmeister Max Schmeling besorgt unter den Armen. Selbst Joe Jacobs,… sonst einer der lautesten Free-Style-Jammerer im Preiskampf-Business, hatte nichts zu protestieren. Sobald der Kampf gestoppt war, war der kleine Manager durch die Seile geklettert und überquerte den Ring, um sich um seinen Deutschen zu kümmern. Er war sich bewusst, dass der finale Punch, den Ringrichter Donovan zu verhindern wusste, seinen Mann hätte töten können. Jacobs Gesicht war leichenblass und er war zutiefst bestürzt, als er den Kämpfer in die Ecke führte und einen Stuhl unter ihn schob.

Wenn die Metapher vom geprügelten Hund irgends einen Sinn macht, dann auf diesem Foto. Schmeling wirkte körperlich und geistig in seinen Grundfesten erschüttert. Das könnte das Ende seiner Karriere als einer der großen Männer im Kampf-Geschäft sein.

Max Adalbert Baer trägt stolz den Davidstern auf seiner Hose.

Das war eine Provokation, denn die Regeln verbaten jede Zurschaustellung religiöser oder politischer Symbole auf der Sportkleidung.

Auch Max Schmeling trägt auf dem Print ein Zeichen – ein Hakenkreuz nämlich, das ihm nachträglich vom wütenden Fotoredakteur auf den linken Oberarm appliziert worden war. Es sieht aus wie ein etwas zu blass geratenes Tattoo.

In Reaktion auf den Davidstern, so war allgemein erwartet worden, hätte es Schmeling aufgrund eines ähnlichen Entgegenkommens erlaubt werden müssen, das Nazi-Hakenkreuz zur Schau zu stellen. Manche der Zuschauer mit einem Auge fürs Detail, sahen Baer den Davidstern ergreifen und nach Schmeling werfen, doch der verneinte jedes politische Interesse an dem Kampf. Für ihn war es nichts als eine geschäftliche Transaktion. Er zeigte keine Anteilnahme. Worin aber lag die Anteilnahme, die der Kolumnist der Chicago Tribune hier mit so vorsichtigen Worten vermisst? Worin lag der Zweck, worin der Grund dafür, dass Baer den Davidstern trug?

Viel ist darüber spekuliert worden, ob Baer tatsächlich Jude war. Mancher wartete mit intimen Beweisen auf, wie der Promoter Leo Bodner, der bei dem einen oder anderen  Besuch in der Kabine einen Blick riskiert hatte: Max Baer war ein guter Kämpfer, aber weißt Du, er war nicht einmal beschnitten. Ich war viele Male in seinem Umkleideraum. Nein, der Katholik Baer war kein Jude. Aber er war ein Jude nach den Maßstäben der Nazis – ein Umstand, der ihm wohl bewusst war. Mein Vater ist jüdisch, und meine Mutter ist schottisch-irisch, sagte Baer. Ich habe den Davidstern getragen, weil ich dachte, es ist das Richtige, und ich werde ihn in jedem weiteren Kampf tragen.

Die Nazis schwiegen sich über die heiklen Aspekte des Kampfes aus, weil Ihnen das Ergebnis peinlich war, wie die New York Times registriert. Sämtliche Zeitungen ignorieren die Tatsache, dass Schmeling von einem Mann geschlagen worden ist, der in Deutschland als Jude klassifiziert würde. Stattdessen trösten sie sich damit, dass Schmeling von einem „Deutsch-Amerikaner“ besiegt wurde. Als im März 1934 Baers Film The Price Fighter and the Lady in die deutschen Kinos kommen sollte, wurden die Zensurbehörden aktiv. Sie standen vor einem Dilemma, denn die propagandistische Vorbereitung der Olympischen Spiele war im vollen Gange. Goebbels hatte die Losung ausgegeben, dass Max Baer im Dritten Reich einen ähnlich warmen Empfang bekommen solle wie Schmeling in Amerika. In den Verhandlungen mit den Produzenten von Metro-Goldwin-Mayers räumte der Vertreter des Propagandaministeriums hingegen ein, dass der Film nicht nur wegen Verletzung der hohen moralischen Standards des Dritten Reichs von den deutschen Leinwänden verbannt worden war, sondern weil der Hauptdarsteller der jüdische Boxer Max Baer ist. Baer nahm’s gelassen. Ich habe wirklich Mitleid mit den Frauen und Kindern in Deutschland, sagte er. Ein Jammer, dass sie keine Chance bekommen, den größten Liebhaber der Welt und den größten Kämpfer der Welt in Aktion zu erleben.

Die Frage, ob Baer Jude war oder nicht, über die auch mancher Schmeling-Biograph orakelt, ist bigott. Das offizielle deutsche Magazin Box-Sport hatte bereits im Vorfeld des Kampfes die offizielle Linie der Nazi-Propaganda vorgegeben, wonach Baer eigentlich kein Jude sei, und es nur aus Reklamegründen vorgebe.

Bloß kommerzielles Interesse, das sich die Gunst des jüdischen Publikums mit Zurschaustellung eines Davidsterns erschleichen möchte?

Baers Solidarität galt jüdischen Sportlerinnen und Sportlern in Deutschland, deren Schicksale wenige Wochen vor dem Kampf gegen Schmeling die Weltöffentlichkeit geschockt hatten. Darunter zuvörderst die Namen einer Sportlerin und zweier Sportler, die eng mit der Berliner Tennis Borussia verbunden sind.

Die Deutsche Tennis-Meisterin im Damen-Einzel von 1925, Nelly Neppach, ging genau einen Monat vor dem Kampf zwischen Baer und Schmeling in den Freitod, nachdem der Deutsche Tennis Bund die jüdischen Verbandsmitglieder aus dem Sportbetrieb ausgeschlossen hatte. Der Berliner Korrespondent der New York Times berichtete am 8. Mai, das Vordringen der Naziideologie in den deutschen Tennissport sei nach Meinung von Freunden der Grund für ihren Selbstmord gewesen:

Die jüngste Aktion des deutschen Tennis, nicht-arische Spieler von der Teilnahme an offiziellen Begegnungen auszusperren, die u. a. Daniel Prenn, Deutschlands Nr. 1, aus dem Davis Cup ausschloss, gilt als verantwortlich für ihren depressiven Schub.

Der Ausschluss insbesondere Prenns, der noch 1927 zusammen mit Teamkollegin Neppach für die Berliner Veilchen auf dem Tennis Court Hof gehalten hatte, sorgte international für Empörung. Mit großer Bestürzung lesen wir die offizielle Stellungnahme …, dass Dr. D. D. Prenn Deutschland im Davis Cup nicht repräsentieren wird, aus dem einzigen Grund, dass er jüdischer Herkunft ist, schreiben mit „Bunny“ Austin und Fred Perry zwei der profiliertesten britischen Tennis-Spieler in einem offenen Brief vom 13. April. Der Protest machte international Furore; am 15. April berichtete etwa die New York Times.

Dem Tennis-Borussen Erich Seelig sprachen die Nazis gleich zwei Deutsche-Meister-Titel ab. Seelig floh über Frankreich und Kuba in die USA. Foto: unbekannt.

Am 3. April gab der Boxverband, der Verein deutscher Faustkämpfer, den Rauswurf aller jüdischen Mitglieder bekannt und untersagte ihnen jegliche sportlichen Aktivitäten. Pikant: Schmeling hielt sich seit dem 14. April in den USA auf, bei ihm sein jüdischer Manager, der Amerikaner Joe Jacobs. Die Nazis beeilten sich klarzustellen, dass das Verbot der Zusammenarbeit von arischen Sportlern mit Juden außerhalb Deutschlands keine Gültigkeit habe.

Andere waren weniger glücklich als Schmeling.

Dem damals noch 17jährigen Erich Seelig war – zusammen mit einem pädagogischen Wink mit dem Zaunpfahl – bereits in der Festschrift zum 25ten Jubiläum der Tennis Borussen eine glänzende Karriere prophezeit worden.

Seelig, – na, der Junge ist ein Kapitel für sich. Wir können uns freuen, dass wir ihn haben, denn er ist bereits erste Klasse und gehört zu denen, die den Marschallstab im Tornister tragen. Sein klarer Sieg über den gefürchteten K.o-Schläger Bolz war eine Glanzleistung. Aber: das Bittere ist die Kehrseite der Medaille. Dieser hochveranlagte Boxer, der bei sachgemäßer Anleitung alles erreichen könnte, erfüllt uns Führer mit tiefer Bitternis. Er lässt sich nicht leiten und legt sich in seinem Training keine Hemmungen auf. Mit riesigem Kräfteverbrauch bereitet er sich vor, hält sich in Form und ruft in uns die Befürchtung wach, dass er sich vorzeitig aufzehrt. Das ist die größte Gefahr bei diesen jugendlichen, noch in stärkstem Wachstum befindlichen Körpern, Uebereifer und Maßlosigkeit im Training.

Erich scheiterte nicht an jugendlichem Ungestüm. Anfang 1931 wagte Seelig den Schritt ins Profiboxen. Noch im gleichen Jahr erboxte sich der Ausnahmeathlet, dem Zeitgenossen mehr Talent als Schmeling attestierten, den deutschen Titel im Mittelgewicht, und im Februar 1933 folgte der Titel im Halbschwergewicht. Die Nazis entzogen dem frischgebackenen Deutschen Meister in gleich zwei Gewichtsklassen mit dem Ausschluss vom 3. April beide Titel und bedrohten Seelig an Leib und Leben, sollte er dennoch zur Titelverteidigung antreten wollen. An seiner Stelle boxte einen Tag nach dem Baer-Schmeling-Kampf am 9. Juni Johann Wilhelm Trollmann gegen Adolf Witt um den Meistertitel im Halbschwergewicht. Trollmann selbst wurde von den Nazis 1944 ermordet, weil er nach der nationalsozialistischen Rassedoktrin „Zigeuner“ war.

Erich floh noch im April 1933 nach Paris und emigrierte schließlich über Kuba in die USA, wo er seine Karriere im Mittelgewicht mit einigem Erfolg weiterführte.

Eine der weltweit einflussreichsten Box-Zeitschriften griff den Fall Seelig auf. In der Juni-Ausgabe kündigte The Ring Magazine von 1933 den Kampf zwischen Baer und Schmeling um das Recht, gegen den amtierenden Weltmeister Primo Carnera boxen zu dürfen, auf dem Cover an. Im Editorial der selben Ausgabe empört sich der Gründer des Blattes, Nat Fleischer:

Zum ersten Mal in der Geschichte des Boxens sprach eine nationale Sportorganisation einem Sportler seinen Titel wegen seiner Religion ab. Bis zum Aufstieg des grässlichen Hitler-Regimes war es ein unumstößlicher Grundsatz im Boxsport, dass ein Titel ausschließlich im Ring gewonnen und verloren gehen konnte. Natürlich kam es gelegentlich vor, dass die amerikanische Box Kommission einen Titel-Halter seiner Krone enthoben hat, weil er den Anforderungen eines Champions nicht genügte, aber in solchen Fällen wurde die Entscheidung mit breiter Zustimmung getroffen.

Der Deutsche Boxverband aber wird für seine bigotte und verkommene Regel, die gegen alle jüdischen Kämpfer Deutschlands gerichtet ist, niemals solche Anerkennung erhalten. Der Deutsche Boxverband erschütterte die gesamte Boxwelt mit seinem Bann gegen Seelig, der der nationale Titelhalter im Leichtgewicht [sic!] und Mittelgewicht ist, und erklärte seine Titel als vakant, weil er Jude ist. Seelig ist in Deutschland geboren und erlangte für sein Vaterland Ring-Ehren, und trotzdem wurde er seiner Titel enthoben, einfach weil er jüdischen Glaubens ist.

Fleischer verband diese Anklage mit der Hoffnung, Schmeling möge an seinem Manager Jacobs festhalten und den Funktionären des Boxverbandes einen Trip in den Hades verpassen, wo sie hingehören.

Schmeling hielt an dem agilen Amerikaner fest. Aber er befand sich mit einem offiziellen Auftrag in den USA. Ende März war Schmeling vom glühenden Box-Fan Adolf Hitler empfangen worden. Ebenfalls anwesend: Göring, Goebbels und von Papen. Ich habe gelesen, dass sie nach Amerika fahren. … Vielleicht fragt man sie drüben, wie es in Deutschland aussieht. Dann können sie ja die Schwarzseher beruhigen, wie friedlich hier alles ist und dass alles vorangeht, gab der Reichskanzler dem ehemaligen Weltmeister mit auf den Weg.

Nein, beschied Schmeling unmittelbar nach seiner Ankunft in den USA den Schwarzsehern von der Presse, es gäbe keine Judenverfolgungen. Der Box-Sport berichtete, Max wandte sich sehr energisch gegen die im Ausland verbreitete lügenhafte Greuel-Propaganda und erklärte, dass er keinen Juden kenne, der irgendwie verfolgt oder misshandelt worden sei. „Gerade in dem Viertel, in dem ich wohne, gibt es sehr viele Juden, aber weder ich noch sonst jemand von meiner Familie hat etwas von Judenverfolgungen gehört oder gesehen“.

Das war eine offenkundige Lüge angesichts der Schicksale jüdischer Sportlerinnen und Sportler im Tausendjährigen Reich der Deutschen, die mit Nelly Neppach, Daniel Prenn und Erich Seelig Gesichter und Geschichten bekommen hatten, die um die Welt gingen.

Max Baer ging mit einem Furor zu Werke, der bis heute im Boxsport seinesgleichen sucht. That one’s for Hitler!dieser ist für Hitler!, zischte der Kalifornier bei einem der wuchtigen Schläge in der 10ten Runde, die Schmeling schließlich den Rest gaben. That one’s for Hitler! Aus dem Mund des Mannes, der nach dem Tod seines Gegners Frankie Campbell am 25. August 1930 nahe davor gestanden hatte, den Ring endgültig zu verlassen. Ich liebe die Menschen.

Nelly Neppach, die jahrelang für die Berliner Veilchen den Schläger in die Hand nahm. Daniel Prenn, der zumindest eine Zeitlang für die Tennis Borussia starte. Und Erich Seelig, der den Boxsport bei den Lila-weißen von der Pieke auf erlernt hatte. Es gehört zu den traurigen Seiten der Vereinsgeschichte, dass es die Namen von Tennis Borussen sind, die wie wenig andere stellvertretend für die Schicksale jüdischer Sportlerinnen und Sportler während des Nazi-Terrors genannt werden müssen. Aber zweifellos waren es ihre Geschichten, die einen kalifornischen Metzgerjungen dazu motivierten, einen unwahrscheinlichen Sieg zu erringen. Es war ein Sieg, der Menschen in der ganzen Welt, v. a. aber im eben erst erstehenden Nazi-Deutschland wie kaum ein anderes Ereignis Mut machte.

Nach dem Meisterschaftskampf gegen Primo Carnera vom Juni 1934 beschrieb der Altphilologe Victor Klemperer die Wirkung des Boxers mit dem Davidstern:

Komisch: welches Vergnügen es mir macht, dass heute gemeldet wird, der Kalifornier Baer habe gegen den italienischen Riesen Carnera die Boxerweltmeisterschaft gewonnen. Baer, der neulich Schmeling schlug, ist Jude. Unsere Zeitung riss ihn gestern herunter und gab alle Gewinnchancen dem Italiener. – So geht jetzt wider allen Willen das Gefühl. Baer = Simson = Goliath – bellum judaicum.

Das Siegfoto zeigt den Jungen mit dem Davidstern, der soeben über Hitlers Liebling triumphiert. Die Schwarzseher sollte Schmeling auf Führers Wunsch belehren, und die Geschichten von Nelly Neppach, Daniel Prenn und Erich Seelig als Gräuel-Propaganda Lügen strafen.  Auf dem Bild ist er am Boden zerstört. Es ist ein Jahrhundertfoto.