Eine mutige Frau

Die Tennis Borussin Nelly Neppach war deutsche Meisterin im Damentennis von 1925.  Im Mai 1933 ging sie in den Freitod.

In der Nacht vom Sonntag, den 7. Mai 1933, auf Montag, den 8. Mai, nahm sich Nelly Neppach im Alter von 34 Jahren mit Veronal und Gas das Leben. Nelly, die 1925 die Deutsche Meisterschaft im Damentennis errang, war der wohl erste echte weibliche Sportstar von internationalem Ruf in Deutschland. Das „Vordringen der Naziideologie in den deutschen Tennissport“ war nach Meinung von Freunden der Grund für ihren Selbstmord: „Die jüngste Aktion des deutschen Tennis, nicht-arische Spieler von der Teilnahme an offiziellen Begegnungen auszusperren gilt als verantwortlich für ihren depressiven Schub.“

Nellys Freitod hatte eine Vorgeschichte. Als erste deutsche Tennisspielerin bereiste sie 1926 auf Einladung der französischen Meisterin Suzanne Lenglen das Staatsgebiet des „Erzfeindes“ und ehemaligen Kriegsgegners Frankreich. Entlang der französischen Riviera traf sie auf die Crème de la Crème des internationalen Damentennis, neben Mlle. Lenglen v. a. auf die amerikanische Meisterin Helen Wills. Die internationale Presse war von ihrem leidenschaftlichen Spiel und ihrem außerordentlich kraftvollen Schlag, Vorhand wie Rückhand, begeistert. Doch Neppach unternahm diese Reise gegen den erklärten Willen des Deutschen Tennis Bund (DTB). In Frankreich erreichte die Tennis Borussin eine Sperrorder der deutschen Offiziellen, die ihr mit dem Ausschluss aus dem regulären Spielbetrieb in Deutschland drohten, sollte sie die Reise nicht umgehend abbrechen. Nelly kommentierte den Vorgang mit den Worten, „niemals habe ich irgendwo einen wärmeren Empfang bekommen als von den Franzosen an der Riviera. Es sind meine eigenen Leute, die aus dem Hinterhalt auf mich schießen.“ Während außerhalb Deutschlands ihr große Sympathie für diese mutige Haltung entgegen gebracht wurde, biss Neppach bei ihren Landsleuten auf Granit.

Bereits im Oktober und November 1924 traf die erste Herren der Tennis Borussia als erste deutsche Fußballmannschaft auf eine französische Auswahl. Sowohl das Hin- wie das Rückspiel konnten die Berliner Veilchen für sich gewinnen. Während des gesellschaftlichen Abendprogramms zum Rückspiel in Berlin verriet DFB-Präsident Felix Linnemann seine Erleichterung über den positiven Ausgang des hoch brisanten Aufeinandertreffens: „Groß und gefährlich war das Unternehmen, und, meine Herren, seien sie überzeugt, so groß die allgemeine Sympathie nach dem Gelingen heute ist, gesteinigt hätte man Sie, wäre der Verlauf ein anderer geworden.“ Die positiven Erfahrungen, die Nellys Verein nur wenig zuvor gemacht hatte, mögen ihr den Blick auf die Risiken ihres Unternehmens verstellt haben.

Denn dass sich hinter dem Pathos Linnemanns bitterer Ernst verbarg, das musste Nelly Neppach anderthalb Jahre später erfahren. Am 8. März erreichte sie in Nizza ein zweites Ultimatum des DTB. Unmissverständlich drohte es wiederum mit Ausschluss vom deutschen Spielbetrieb, wenn sie erneut an der Riviera antrete. Nelly entschloss sich zur Rückreise. Doch ihr Einlenken kam zu spät. Denn kaum in Berlin angekommen, erreichte sie über die Tagespresse am 11. März ein drittes Schreiben des DTB, das der Öffentlichkeit mitteilte, Frau Neppach sei „bis auf weiteres von jedweder Teilhabe am deutschen Tennis ausgeschlossen.“ Der nationalistische Ton der Pressemitteilung war ungewöhnlich scharf. Die Rede war von „falsch verstandenem Locarno-Geist“. Auch antisemitische Untertöne fanden sich darin. Es sei ein Netzwerk aus „befreundeten Federn“, dem sie ihre Popularität verdanke. Der Topos von der Medienkontrolle und einem unter der Oberfläche agierenden Netzwerk aus „Zeitungsschreibern“, die „die öffentliche Meinung in allen Fragen der Politik nach Belieben erregen oder beruhigen, überzeugen oder verwirren“, gehört spätestens seit den „Protokollen der Weisen von Zion“ ins antisemitische Standardrepertoire. Dass der DTB durch die Berichterstattung über eine einzelne Person „in seinem Ansehen innerhalb und außerhalb des deutschen Tennissport schwer geschädigt worden“ sein will; dass diese Berichterstattung ferner umstandslos der betroffenen Person und ihrem Umfeld zugeschrieben wird – all das leuchtet freilich nur ein, wer in der Popularität einer jungen Sportlerin, einer Jüdin zumal, nichts anderes als das Ergebnis verschwörerischer Umtriebe zu sehen vermag. Folgerichtig musste der DTB der Deutschen Meisterin von 1925 denn auch gänzlich den sportlichen Erfolg absprechen. Nelly Neppach habe ihren Meistertitel einem „Glückssieg“ zu verdanken, hieß es.

Der Vorgang war so ungeheuerlich, dass selbst einem alten Hasen wie Willy Meisl der Atem stockte. Der „König der Sportjournalisten“, wie ihn Zeitgenossen nannten, meldete sich erst acht Tage später, in der Vossischen Zeitung vom 19.03.1926 zu Wort. Er habe bislang geschwiegen, um „die keineswegs allzu schwierige Regelung dieser Angelegenheit [dem DTB] selbst zu überlassen“. Stattdessen: „Mit einem wahren Jubelschrei stürzte sich das Strafgericht auf Frau Neppach.“ Nelly, schreibt er, mag „Mangel an Taktgefühl“ gezeigt haben, als sie die Weisung des DTB ignorierte. Das Schreiben des DTB sei hingegen eine „Ungeheuerlichkeit schlechthin“. Wo der DTB im Recht gewesen sei, habe er sich ins Unrecht gesetzt, denn „die Strafe des Schuldigen ist nicht das Vergnügen des Richters.“ Nellys Sieg als „Glückssieg“ zu bezeichnen, sei sportlich widersinnig, da es keinen sportlichen Erfolg ohne „Glück“ gebe; es sei menschlich ungehörig und es zeuge schließlich von der Selbstvergessenheit einer „Sportbehörde“, die „jedem Mitglied und schon gar einer Dame gegenüber objektiv, und wenn schon das nicht, dann noch immer höflich und korrekt zu sein hat.“ Kurzum: der DTB habe „sich selbst Antipropaganda“ gemacht.

Nelly Neppach, geborene Bamberger, 1913. Foto: Die Woche. Moderne illustrierte Zeitschrift, Berlin, Ausgabe Nr. 23, 8. August 1913; Archiv Buschbom.

Nelly Neppach, geborene Bamberger, 1913. Foto: Die Woche. Moderne illustrierte Zeitschrift, Berlin, Ausgabe Nr. 23, 8. August 1913; Archiv Buschbom.

Nelly Neppach erregte gleich auf dreifache Weise die erzreaktionären Gemüter der Weimarer Republik. Als Frau – denn ihr selbstbewusstes und kämpferisches Auftreten wollte so gar nicht in die Rollenklischees passen. Als Jüdin – denn war es nicht einem jüdischen Dolchstoß zu verdanken gewesen, dass der Erste Weltkrieg verloren gegeben werden musste? Und ausgerechnet so eine bereist den Erzfeind? Und schließlich als international beachtete und geschätzte Sportlerin – denn widersprach die „Reklame“, der sie ihren Ruf allein verdanken konnte, nicht wahrem Sportgeist? „Jeder echte Sportsmann hat für eine derartige Reklame günstigstenfalls nur ein mitleidiges Lächeln“, so hieß es in der Pressemitteilung des DTB vom 11. März.

1910, im Alter von zwölf Jahren, errang Nelly (unter ihrem Mädchennamen Bamberger) ihren ersten Turniersieg. An die 1.000 weitere sollten folgen, schätzten Beobachter. Sie hatte ihr Leben dem Sport gewidmet, und dieses Leben wurde mit der Machtergreifung der Nazis beendet. Am 11. April trat die jüdische Mitgliedschaft der Tennis Borussia unter ungeklärten Umständen aus dem Verein aus. Anfang Mai erklärte der DTB seinen Sport für „judenfrei“. Damit war Nelly Neppach vollständig vom sportlichen Alltag isoliert. Also ging Nelly in den Freitod.

Am 12. Mai erklärte das offizielle Verbandsmagazin, „Tennis und Golf“, in einer kurzen Mitteilung lapidar, das Leben der Nelly Neppach habe ein „schnelles Ende“ genommen. „Nicht zu früh“, nicht ein „erschütterndes“, ein „unfassbares“ oder ein „unbegreifliches Ende“, wie Christian Eichler in der Festschrift zum 100jährigen Jubiläum des DTB völlig zu recht festhält, sondern eben: „ein schnelles Ende“, „als beschreibe [der Chronist] nicht ein tragisches Schicksal, sondern ein Problem, das sich von selber gelöst hat“ (Eichler).

Nelly Neppach war eine mutige Frau.